Zur psychotherapeutischer Versorgung der Kinder im Irak


Der Irak ist seit dem ersten Golfkrieg (1980, danach Golfkrieg II, internationales Embargo und Golfkrieg III) in einem Ausnahmezustand. Neben den militärischen Kampfhandlungen kommt es immer wieder zu Übergriffen von extremer Brutalität auf die Zivilbevölkerung, zuletzt auch durch den IS. Dies führt zu großen landesinternen und externen Fluchtbewegungen. Kinder und Jugendliche kennen keinen Alltag ohne kriegerische Auseinandersetzung und Terror. So erleben viele Eltern, dass sie ihren Kindern nicht den notwendigen Schutz geben können.

Krieg und Vertreibung zerstören das Lern- und Lebensumfeld der Kinder, wobei es auch zu vermehrtem Stress und Streit innerhalb der Familie kommen kann. Die Auswirkungen davon sind eine eingeschränkte Beziehungs- und Lernfähigkeit.

Der Anteil der Kinder und Jugendlichen betrug laut einem UNO-Bericht von 2009 46% bei einer Gesamtbevölkerung des Iraks von 51,5 Millionen. Und die UNO spricht von einer hohen Rate an psychischen Auffälligkeiten und Störungen. Allein in Bagdad gab es im Jahr 2012 zirka 500.000 durch Kriegserlebnisse nachhaltig traumatisierte Kinder (Angaben des irakischen Gesundheitsministeriums). Diese Zahl dürfte angesichts eskalierender Gewalt und der Zuwanderung von Flüchtlingen aus anderen Landesteilen noch deutlich gestiegen sein.

Von den etwa 100 Psychiatern im Land haben nur wenige kinder- und jugendpsychiatrische Kenntnisse. Ihre Behandlung beschränkt sich primär auf den Einsatz von Psychopharmaka, da psychotherapeutische Techniken in der Gesundheitsversorgung keine Tradition haben. In der Gesellschaft besteht eine kulturell verankerte Angst vor Stigmatisierung. Verhaltensauffälligkeiten, Ängste und depressive Zustände der Kinder werden in den Familien oft verleugnet und nicht aufgefangen. Die Unkenntnis über die psychischen Erkrankungen der Kinder verstärkt deren Leid. Diese Situation verdeutlicht den erheblichen Versorgungs- und Ausbildungsbedarf an kindgerechter Psychotherapie im Irak.




Wie wir arbeiten


Schwerpunkte unserer Arbeit sind Fortbildungsprojekte für Ärzte, Psychologen, Pflegekräfte und Sozialarbeiter im Irak. Voraussetzung ist, dass sie in Behandlungszentren mit traumatisieren Kindern tätig sind. Die berufsbegleitende Weiterbildung in Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie führen wir in Kooperation mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (KJP-UKE), durch.

Die von der Universität Hamburg zertifizierte Weiterbildung umfasst insgesamt 6 halbjährlich stattfindende, zweiwöchige Einheiten. Inhaltlich ist das Curriculum an der deutschen Facharztausbildung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie angelehnt. Schwerpunkte sind: Theorie, psychodynamische Fallsupervision und Selbsterfahrung. Zwei Weiterbildungsprojekte (Curriculum Middle East 1 und 2 ) für TeilnehmerInnen auch aus anderen Ländern des mittleren Ostens (Syrien, Jordanien, Palästina) wurden bereits erfolgreich abgeschlossen. 45 TeilnehmerInnen konnten sich schon zertifizieren lassen.

Im Curriculum Middle East 3 2017 wird eine Auswahl ehemaliger TeilnehmerInnen als Cotrainer und Organisatoren mitarbeiten. Sie sind mit ihrem Wissen über die Verhältnisse und Strukturen vor Ort eine Bereicherung für unsere Arbeit. Mit unserer Tätigkeit wollen wir zum nachhaltigen Aufbau einer psychotherapeutisch orientierten Kinder- und Jugendpsychiatrie im Irak beitragen. So fördert der Verein COB und die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (KJP-UKE) den Irak sowohl bei der universitären Verankerung des Fachs als auch bei der Organisationsentwicklung zum Aufbau von entsprechenden Versorgungsstrukturen.
kontakt@cob.com

Unsere Projekte

Publikationen

Woher kommt der Hass?

Erfahrungen mit psychoanalytischer Ausbildung im Irak und im Mittleren Osten, PSYCHE 11, 2015

Teilnehmerberichte

Nashmeel, Sulaimania

Ich heiße Nashmeel Rasool Hamah Ameen. Ich bin eine Psychiaterin aus dem kurdischen Teil des Iraks. Ich gehöre der „Gemeinschaft des irakischen Rates der medizinischen Spezialisierung im Bereich Psychiatrie – FIBMS-Psychiatrie“ an. Von meinen Kollegen habe ich über die Fortbildung in Psychotherapie für Kinder und Jugendliche gehört. Seitdem brannte ich darauf, die Chance zu bekommen an so einem Kurs teil nehmen zu können und etwas Wertvolles dazu zu lernen.
Mein Traum ist wahr geworden als das Dozententeam nach Sulaimania kam und sie eine Einführungs-Workshop zu Beginn ihrer 2. Weiterbildung führten. Ich war so froh, dabei zu sein. So begann mein Weg mit „children of Bagdhad“ - ich lernte Psychodynamik und Traumatherapie.
Ich habe so viel im Rahmen dieser Fortbildung über Therapie gelernt. Von ganz einfachen Dingen wie das Erkennen und Ausdrücken meiner Gefühle – das war bis dahin komplett neu für mich – bis hin zu vielen theoretischen und praktischen Punkten zum Verlauf einer Therapie und einer Behandlungsplanung. Nach dem Training fühlte mich in jeder Hinsicht reifer in Bezug auf die Behandlung der Traumas und mit Familien. Die Techniken die ich gelernt habe, haben mir in meiner Praxis dann auch gute Ergebnisse gebracht. Ich habe meine Ausbildungserfahrungen auch für die Supervision von Kollegen im Bereich psychischer Gesundheit nutzen können. Ich konnte mein neu erworbenes Wissen weitergeben und mit den Kollegen die Patienten besprechen, die ich ihnen zur Psychotherapie geschickt hatte. Das Training war außerdem eine tolle Gelegenheit, viele Menschen mit unterschiedlichen Nationalitäten und kulturellen Hintergründen kennen zu lernen.
Sie haben mit ihrer Freundlichkeit, Liebe und ihrer Großzügigkeit mein Gefühl für Menschlichkeit sehr bereichert. Ich arbeite jetzt im Zentrum für psychische Gesundheit in Sulaimania. Wir haben eine Abteilung für Kinder und Jugendliche und wir bekommen Fälle aus der ambulanten Klinik und auch aus privaten Krankenhäusern. Wir haben dabei unterschiedliche Fälle von psychischen Störungen. Darunter sind Stimmungsschwankungen, Psychosen, Lernschwächen, Entwicklungs- und Verhaltensstörungen, genauso wie Traumata, Kindesmissbrauch, Drogenmissbrauch und familiäre Probleme und Auseinandersetzungen. Bei den ganzen politischen Unruhen sehen wir heute intern mehr Vertriebene und Flüchtlinge, die wir ambulant behandeln. Dabei spielen natürlich auch unsere Fähigkeiten, die vorhandene Zeit und jeweils die familiären Umstände eine Rolle. Wir sind noch zu wenige Therapeuten, die diesen Patienten ganz gewachsen sind. Daneben gibt es eine Tendenz in den Familien, das Problem zu bagatellisieren oder zu negieren und Disziplinprobleme, in Therapie zu bleiben und nicht eigenmächtig die Therapie abzubrechen, die größte Hürde die wir gerade erleben.
Die enorme Arbeitsbelastung, die wir gerade erleben, die zu geringe Anzahl der Psychologen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, sowie unsere noch sehr beschränkte Erfahrung und Wissen in Psychodynamik und in der Therapie von Kindern sind ein weiterer Grund, warum ich diese Zeilen schreibe. Ich bitte um weitere Unterstützung und Weiterbildung auf dem Gebiet der Kinder und Jugendpsychotherapie im Irak.

Hiba, Baghdad

Zu unserer Arbeitsorganisation:
In unserer ambulanten Abteilung für Kinder und Jugendliche im psychiatrischen Krankenhaus Ibn Rushd habe ich täglich etwa 30 Patienten. Darunter sind sehr unterschiedliche psychische Probleme. Bei all den Patienten die wir sehen, müssen wir entscheiden, welche für eine Therapie geeignet sind. Wir klären das in der ersten Sitzung durch Interviews mit den Familien. Um besonders den traumatisierten Patienten gerecht zu werden brauchen wir dringend fachliche Unterstützung in der Kenntnis der Kinder- und Jugend-Psychotherapie. Die Auswirkungen der vielfältigen Traumata zeigen sich beim Kind im Verhalten und in der Leistung in der Schule und im Zusammensein in der Familie und mit Freunden. Bei den Eltern zeigen sich Ängste und Anspannungen wegen des Leidens ihres Kindes.
Unser erlerntes Wissen bezüglich der Behandlung traumatisierter Kinder ist nicht nur effektiv für die Patienten, ich kann es auch in meinem eigenen Leben anwenden, leben wir doch selbst in einem andauernden Trauma. Die Körperarbeit und Entspannungsübungen genauso wie die Aufmerksamkeit auf unsere Gefühle waren sehr wichtig für uns, um den traumatisierten Kindern helfen zu können. Das Wissen können wir auch nutzen um Familien psychologisch zu unterstützen und für Verhaltenstraining.
Ich habe gelernt, dem Kind zuhören, mich in seine Lage zu versetzen und mich einzufühlen.
Es gibt jeden Tag so viel Arbeit mit so vielen Patienten und das erschwert es uns, eine gute Basis für Psychotherapie zu haben. Aufgrund dieser Schwierigkeit haben wir entschieden, dass der Mittwoch unser Tag für Psychotherapiesitzungen ist.

Presse